
Gemüse und Obst aus Österreich: Für viele ein Garant für faire Arbeitsbedingungen, denn Regionalität spielt beim Lebensmittel-Einkauf eine immer größere Rolle. Die Menschen kaufen bewusster und stellen sich so nicht nur gegen lange Transportwege, sondern auch gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Angesichts der bestehenden und sehr klaren Arbeitsrechte hierzulande, fehlt das Bewusstsein, dass auch in Österreich Ausbeutung möglich ist. Insbesondere Fälle aus ländlichen Regionen zeigen, dass Erntehelfer*innen aus Drittstaaten oftmals mit einem Lohn unter dem Kollektivvertrag abgespeist werden, aber auch in Wiener Gärtnereien weiß die Produktionsgewerkschaft (Pro-Ge) von Missständen.
Erntehelfer*innen haben eine harte Arbeit. Sie muss bei jedem Wetter verrichtet werden, oftmals sechs, manchmal sogar sieben Tage die Woche. Die Entlohnung ist oft schlecht. Je nach Kollektivvertrag, und somit je nach Bundesland, etwa sieben Euro. In Wien beträgt der Brutto-Stundenlohn 7,10 Euro. Diese Arbeitsbedingungen sind laut Cordula Frötsch, Aktivistin der Kampagne “Sezonieri”, Gründe, wieso sich kaum Leute finden, die in Österreich geboren wurden, um dieser Arbeit nachzugehen.
Arbeitsrechte werden ignoriert
Sind die Arbeitsbedingungen bereits innerhalb des rechtlichen Rahmens schlecht, werden ebendiese Rechte oft gar nicht eingehalten. Angefangen damit, dass die Arbeiter*innen teilweise falsch angestellt sind: Teilzeit statt Vollzeit und das bei bis zu 70 Stunden in der Woche. Wochenend- oder Überstundenzuschlag gibt es nicht. Ebenso wenig Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Auch der Kündigungsschutz bei Krankheit oder Schwangerschaft wird nicht immer eingehalten.
Bestätigt werden diese Missstände von Pro-Ge, die die Kampagne “Sezonieri” initiiert hat und für die Rechtsberatung der betroffenen Arbeiter*innen zuständig ist. Die Zahl der Migrant*innen im Bereich der Erntehilfe wird von der Gewerkschaft auf nahezu 100 Prozent geschätzt. In Wien stammen die meisten aus Rumänien. Danach folgen Arbeiter*innen aus Bulgarien und Serbien. Wie viele von ihnen von Ausbeutung betroffen sind, ist unklar. Hochrechnungen der Pro-Ge zufolge sollen es mehrere hundert bis tausend Arbeitnehmer*innen sein. Genauere Zahlen gibt es nicht. Doch laut Rechtsschutzsekretärin der Gewerkschaft, Susanne Haslinger, gäbe es hierzulande keine andere Branche, “in der es zu mehr Ausbeutung, Missbrauch und Sozialbetrug kommt und die gleichzeitig von einem derartigen Mangel an Unrechtsbewusstsein seitens der Arbeitgeber*innen geprägt ist”.
Seit 2014 setzt sich die Kampagne “Sezonieri” für die Rechte von Erntehelfer*innen ein, Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen gehen auf die Felder, um die Arbeiter*innen zu informieren, bieten mehrsprachige Beratung und Rechtshilfe an und erstreiten im Klagefall oft mehr als 10.000 Euro für die Betroffenen. In Tirol gibt es auch schon erste Erfolge, die strukturell greifen. Laut Frötsch sind die Löhne in den letzten Jahren gestiegen, immer weniger Betriebe und Bauern trauen sich, zu wenig zu zahlen. Gleichzeitig melden sich mehr und mehr Arbeitnehmer*innen bei “Sezonieri”, um von ihren Rechten zu erfahren.
Ausbeutung auch in Wien
Auf Wien konzentriert sich die Kampagne seit 2017, Gerichtsverfahren gab es noch keine. Und gerade in der Bundeshauptstadt sei es schwierig, Kontakt mit den Arbeitnehmer*innen aufzunehmen. Denn hier gäbe es verschlossene Glashäuser statt offen zugängliche Felder, erklärt Haslinger. “Die spezielle Herausforderung in Wien ist, dass es sich hier meist um Gärtnereien handelt. Das macht natürlich eine Abschottung der Arbeitnehmer*innen für den Arbeitgeber leichter und ein Erreichen der Arbeitnehmer*innen für uns schwieriger.”
Derzeit gehe es in Wien darum, Kontakt herzustellen und die Informationen über die Rechte von Erntehelfer*innen zu verbreiten. Erste Gespräche mit den Arbeiter*innen zeigen jedoch, dass Wien ebenso wenig ein “heiliges Land” ist wie Tirol. “Wir wissen, dass in Wien genauso heftige Ausbeutung stattfindet. Das erzählen uns die Arbeitnehmer*innen”, so Haslinger.
Landwirte und Gärtner*innen in Zwangslage
Trotz bekannter Fälle und Zunahme von Klagen gibt es nach wie vor zu wenige Kontrollen. Vonseiten der Landwirtschaftskammer heißt es, dass es sich um Einzelfälle handelt und es kein strukturelles Problem gäbe. Frötsch sieht das anders: “Es ist dezidiert ein strukturelles Problem und hängt mit zu niedrigen Lebensmittelpreisen zusammen und damit, dass das ganze Agrarsystem ein exportorientiertes Überproduktionssystem ist. Auch viele Bauern sehen sich in einer Zwangslage.”
Das gelte nicht für alle. Landwirtschaftliche Großbetriebe sind sehr wohl auf Maximalprofit aus. In kleineren Betrieben sind die Anforderungen der Supermärkte jedoch schwierig zu erfüllen: Klare Angaben, wie das Gemüse auszusehen hat, stehen Preisen unterhalb der Produktionskosten gegenüber. Um dem strukturellen Problem der schlechten Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken, versucht “Bio Austria” derzeit arbeitsrechtliche Standards in ihr Label zu integrieren. Das sei ein erster Schritt, so Frötsch. Es tue sich was, wenngleich der Kampf noch lange andauern wird.