Als der Syrer Shadi nach Österreich flüchtete und in eine neue Klasse kam, verstand er noch kein Deutsch. Die Prozentrechnung auf der Tafel konnte er trotzdem lösen – und zwar als Einziger in der Klasse. In Syrien hatte er Prozentrechnen schon gelernt. Heute zählt er zu den vielen geflüchteten Jugendlichen, die regelmäßige in das Bildungsprojekt “UniClub Plus” kommen.
Die Jugendlichen arbeiteten in den Osterferien an Projekten für den europaweiten Ideenwettbewerb “SciChallenge”. In diesem Rahmen verarbeitete Shadi die positiven und negativen Erfahrungen, die er als neuer Schüler in Wien gemacht hat. “Heute gibt es so viele Menschen, die rassistisch sind, daher wollten wir ein Video machen und zeigen, wie es ohne Rassismus funktioniert”, erklärt er seine Motivation. Sein Kollege Ahmed bestätigt: “Eine Welt ohne Rassismus ist besser”.
Die beiden Syrer kamen als Jugendliche nach Wien. Seit einem Jahr besuchen sie regelmäßig den “UniClub Plus”. Ein Projekt, das aus dem 2011 gegründeten “Uni Club” entstand. Damals taten sich Jugendliche zusammen, um an Workshops teilzunehmen. Das waren Jugendliche, die aus bildungsbenachteiligten Kontexten stammen, ihren ersten Kontakt zur Universität im Rahmen der KinderUni Wien hatten und diesen aufrechterhalten wollten. Das Ziel des Clubs: “Die Jugendlichen in ihrem Bildungsweg begleiten und unterstützen”, so Karoline Iber, Geschäftsführerin und Gründerin des Kinderbüros der Universität Wien, an dem das Bildungsprojekt angesiedelt ist.
Fehlende Unterstützung für Bildungsbenachteiligte
Denn genau das fehle in Österreich. Ein Eingehen auf die Bedürfnisse bildungsbenachteiligter Jugendliche: “Hier braucht es ganz großen Sensibiliserungsbedarf – insbesondere in der Lehrer-Ausbildung. Es braucht mehr Unterstützung für Jugendliche, die keine Eltern haben, die sie auffangen können. Das hat nicht unbedingt mit Nationalität zu tun, aber natürlich ist es einfacher, wenn man deutschsprachig aufwächst und nicht als Jugendlicher hier ankommt, Deutsch lernen muss und an der Bildungserfolgsgeschichte vom Herkunftsland anknüpfen soll”.
Die offiziellen Statistiken bestätigen den Eindruck Ibers. So ist insbesondere bei jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund der Bildungserfolg der Eltern ausschlaggebend für ihren eigenen Bildungsweg: 47 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund, deren Eltern höchstens über einen Pflichtschulabschluss verfügen, weisen ebenfalls über keinen höheren Abschluss auf. Bei den jungen Erwachsenen ohne Migrationshintergrund liegt dieser Wert bei 22 Prozent.
Um dieser Situation entgegenzuwirken, wurde aus dem zuvor losen und unregelmäßigen “UniClub” vier Jahre später der “UniClub Plus”, erklärt Iber: “2015 wurde klar, dass viele neue Jugendliche nach Wien kommen. Viele unserer Jugendlichen waren in der Flüchtlingshilfe tätig und erklärten, dass es mehr Angebote für diese Personengruppe brauche”. Und schon begann die Umsetzung: Neben den nach wie vor stattfindenden Workshops und Exkursionen können sich die Jugendlichen seitdem zwei Mal in der Woche im “LernClub” treffen. Gemeinsam mit dem Team und freiwilligen Lehramtsstudierenden wird Hausaufgabe gemacht, gelernt, Deutsch geübt.
Sich über Probleme in Englisch oder Mathematik austauschen oder gemeinsam an der Hausaufgabe zu arbeiten, klingt kaum nach einem Ort, den sich Jugendliche wünschen. Und doch: Ein offener Lernraum wird von den Jugendlichen begrüßt: “Wenn man etwas nicht kann oder versteht, erhält man hier Hilfe”, freut sich Shafira, die vor drei Jahren von Afghanistan nach Wien flüchtete. Die 15-jährige Fatema kann diesen Eindruck bestätigen: “Der LernClub ist sehr gut, auch weil er kostenlos ist. Das findet man eigentlich nicht. Und hier lernt man nicht nur, sondern hat auch Spaß”.
Fehlende Angebote für nicht Schulpflichtige
In Wien leben derzeit mehr als 1200 Asylbewerber*innen, die minderjährig sind, aber nicht mehr schulpflichtig sind. Eine Zielgruppe für die Unterstützungmaßnahmen und Lernhilfe-Angebote fehlen. Für Iber ein problematischer Zustand. Denn gerade ohne die Anbindung an die Schule, ohne ein “deutschsprachiges Anregungsumfeld” ist das Fuß fassen in Österreich, das rasche Deutsch lernen, schwieriger.
Ein Schritt, um dem fehlenden Angebot entgegenzuwirken, ist das im Herbst 2016 gestartete Jugendcollege für Asylbewerber*innen und Asylberechtigte zwischen 15 und 21 Jahren. Bis zu 750 Plätze stehen dort zur Verfügung. “Aber auch hier wird weiterführende Unterstützung gesucht”, sagt Iber, “wir werden in diesem Zusammenhang immer wieder vom Jugendcollege kontaktiert”. Die Forderung Ibers, die an diesen Missstand anknüpft, ist: Endlich aufzuhören, die Pflichtschule als das Bildungsziel zu definieren: “Unsere Gesellschaft, die Politik sagt, dass Pflichtschule das Ziel ist, doch für unsere Jugendliche ist Pflichtschule der Anfang und die Universität das Ziel. Die Jugendlichen wollen viel mehr und würde man ihnen das zutrauen, würden sie auch weitere Schritte tun”.
Das zeigt auch eine erste Bilanz des “UniClub Plus”: Eine junge Frau schaffte es bereits auf die Universität. Sie studiert Physik. Zwei Jugendliche bereiten sich auf ihre Matura vor. Drei Jugendliche erhielten ein Staatsstipendium und drei weitere eine Lehrstelle mit Matura. So auch Shadi. Derzeit besucht er noch die Schule, im Herbst beginnt seine Kochlehre. Doch sein eigentliches Ziel ist die Universität: “Danach will ich Medizin studieren”, so Shadi. Ein Ziel, das er mit anderen Jugendlichen im “UniClub Plus” teilt: Zum Beispiel mit der 14-jährigen Lilas aus Syrien: “Ich werde Kinderärztin”, gibt sie selbstbewusst ihren Berufswunsch an.