Das Recht auf Gesundheit in Zahlen

Auch das Recht auf Gesundheit und auf eine adäquate medizinische Versorgung gilt international als Menschenrecht. So heißt es zum Beispiel im UNO-Menschenrechtsabkommen, dass Voraussetzungen sichergestellt werden müssen, damit jede*r im Krankheitsfall einen Zugang zu medizinischen Einrichtungen und ärztlicher Betreuung erhält.

Die EU-Mitgliedsstaaten verpflichten sich durch die Aufnahmerichtlinie des Europäischen Parlaments vom 26. Juni 2013, „dass Antragsteller die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst“ (Artikel 19). Dazu zählt auch eine geeignete psychologische Betreuung. Zudem wird im Artikel 25 der EU-Aufnahmerichtlinie speziell auf die adäquate medizinische und psychologische Behandlung eingegangen, die für Opfer von Folter, Vergewaltigung und von anderen schweren Gewalttaten, sichergestellt werden muss.

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Monate müssen Menschen in Deutschland derzeit auf den Beginn einer Psychotherapie warten.

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psychotherapeutische Praxissitze wären notwendig, um die Wartezeit zu verkürzen.

Aus dem Versorgungsbericht der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Folteropfer (BAfF e.V.) geht jedoch hervor, dass die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland sehr angespannt ist: Derzeit liegen die Wartezeiten bis zum Beginn einer Psychotherapie bei 4,6 Monaten, insbesondere im Ruhrgebiet sowie in ländlichen Regionen seien diese noch länger. Die Bundespsychotherapeutenkammer schätzt, dass etwa 7.000 psychotherapeutische Praxissitze notwendig wären, um die Wartezeiten zu verkürzen. Zudem wird die Anzahl der Psychotherapeut*innen in einem bestimmten Versorgungsgebiet nach wie vor nach einer Bedarfsplanung aus dem Jahr 1999 bestimmt. Damit wird nicht berücksichtigt, wie viele Menschen in einer Region leben, die einen Psychotherapie-Platz bräuchten.

„Für Geflüchtete ist es aufgrund von Sprachbarrieren und zahlreichen weiteren strukturellen Hürden noch um ein Vielfaches schwieriger, einen Therapieplatz bei einem*r niedergelassenen Psychotherapeut*in zu finden“, heißt es im Bericht weiter. Dabei zeigen unterschiedliche Studien, dass gerade Geflüchtete aufgrund ihrer Erfahrungen überdurchschnittlich von Depressionen betroffen sind.

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Menschen mit Folter-, Trauma- und Fluchterfahrung weisen laut einer internationalen Studie eine Posttraumatische Belastungsstörung auf.

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Menschen mit Folter-, Trauma- und Fluchterfahrung weisen laut einer internationalen Studie eine depressive Erkrankung auf.

Verlässliche Aussagen über psychische Erkrankungen lassen sich anhand von Metaanalysen oder Reviews treffen. Diese fassen Ergebnisse von verschiedenen kleineren Studien systematisch zusammen. Im BAfF-Versorgungsbericht wird auf unterschiedliche Metaanalysen und Reviews eingegangen. Unter anderem auf eine der umfangreichsten Metaanalysen, die 161 Forschungsartikel im Zeitraum 1980 bis 2009 zusammenfasst und nach der Häufigkeit von Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Menschen mit Folter-, Trauma- und Fluchterfahrung fragt. Dadurch schließt diese Analyse 81.000 Personen aus 40 verschiedenen Ländern ein. Das Ergebnis: 30,6 Prozent der untersuchten Personen weisen eine Posttraumatische Belastungsstörung auf und 30,8 Prozent eine depressive Erkrankung.

Ähnliche Ergebnisse zeigt auch ein aktuelleres Review aus dem Jahr 2017: Im Mittelwert weisen demnach 32 Prozent der rund 6.700 Geflüchteten, die das Review umfasst, eine posttraumatische Belastungsstörung auf und 35 Prozent eine Depression.  

Wie es konkret in Deutschland mit der psychischen Gesundheit von Geflüchteten aussieht, zeigt auch eine Befragung von Schutzsuchenden des Wissenschaftliche Instituts der AOK. Dabei wurden insgesamt 2.021 Geflüchtete aus Syrien, dem Irak und Afghanistan befragt, die seit zwei Jahren in Deutschland in einer Aufnahmeeinrichtung leben. Dabei gaben nur 22,5 Prozent aller Befragten an, dass sie selbst keine Gewalterfahrungen bzw. traumatischen Ereignisse erlebt haben. Zu den häufigsten Erlebnissen von denen die Befragten berichteten, zählen Kriegserlebnisse (60,4 Prozent), Angriffe durch militärische Gruppen (40,2 Prozent) sowie verschleppte oder verschwundene Angehörige (34,8 Prozent).

Die Geflüchteten wurden zudem nach dem WHO-5-Wohlbefindens-Fragebogen der World Health Organisation befragt, um auch Aussagen über das Vorliegen von depressiven Erkrankungen treffen zu können. Dabei zeigt sich das bei insgesamt 44,6 Prozent aller Befragten ein Verdacht auf eine depressive Erkrankung vorliegt. Geschlechts- oder altersspezifische Unterschiede sind dabei nur gering: Bei geflüchteten Frauen liegt der Wert etwas höher als bei Männern und auch ältere Menschen sind tendenziell öfters betroffen.

Aktueller Forschungsstand nicht ausreichend

Es gibt im Gegensatz zu anderen Bereichen wie Arbeit oder Wohnen fast keine repräsentativen Zahlen zur Häufigkeit von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Geflüchteten. Zwar steigt die Anzahl der Studien, die traumatische oder depressive Symptomatiken bei Geflüchteten untersuchen. Allerdings ist die Aussagekraft der einzelnen Studien aufgrund der kleinen Stichproben oftmals sehr begrenzt und nicht repräsentativ. Ebenso gibt es große qualitative Unterschiede hinsichtlich der Befragungs- und Messmethodik, daher werden oftmals sehr unterschiedliche Häufigkeiten (Prävalenzen) von Symptomen, die auf eine Posttraumatische Belastungsstörung oder Depression hinweisen, gefunden. Zwar versuchen sogenannte Metaanalysen die Studienlage zusammenzufassen, dies gestaltet sich aber aufgrund der großen methodischen Unterschiede der Studien als schwierig.

Definition: Posttraumatische Belastungsstörung

Unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung wird laut dem aktuellem ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) verzögerte Reaktion genannt „auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“. Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung können sehr vielfältig sein, zum Beispiel: Wiederholtes Erleben des Traumas (Flashbacks), Träume/Albträume, Gefühl des Betäubtseins oder der emotionalen Stumpfheit (freezing/numbing), Teilnahme- und Freudlosigkeit, Schlafstörungen, Übererregtheit und Schreckhaftigkeit.