„Kommunikation ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit“

Dr. Friedrich Anton Weiser mit Patientin und Videodolmetscherin, Copyright: Medico Chirurgicum

Nach einem Unfall kommt ein 16-Jähriger ins Krankenhaus. Diagnose: Unterschenkelhalsbruch. Das Krankenhaus stellt die richtige Diagnose. Die behandelten Ärzte versuchen dem jungen Mann, der kaum Deutsch spricht, zu erklären, dass er sein Bein verliert, wenn er nicht sofort operiert wird. Der Teenager versteht nur, dass eine Amputation ohnehin notwendig sei. Selbst die Englisch-Kenntnisse der Ärzte reichen nicht aus. Der junge Mann willigt in eine Operation nicht ein. Am nächsten Tag klärt eine Mitarbeiterin im Krankenhaus das sprachliche Missverständnis auf – doch es ist zu spät: Aufgrund von Komplikationen muss dem jungen Mann das Bein amputiert werden. Das Krankenhaus zahlt 39.000 Euro Schadenersatz.

Schlimme Folgen durch Sprachbarrieren

Von diesem Fall berichtet der Patientenanwalt Gerald Bachinger. Geht es nach ihm, sollen Sprachbarrieren zwischen Ärzt*innen und Migrant*innen der Vergangenheit angehören. Eine Lösung sind muttersprachliche Live-Übersetzungen, die in Österreich jedoch nur langsam Fuß fassen. Nach Pilotprojekten im Justizbereich sowie im Kommunal- und im öffentlichen Spitalsbereich haben seit dem 1. Juni 2015 Patient*innen im Medico Chirurgicum im 23. Wiener Gemeindebezirk die Möglichkeit, auf Knopfdruck mit einem ausgebildeten Dolmetscher per Bildschirm zu sprechen. Das Medico Chirurgicum war dabei die erste Kassenpraxis, die diesen Dienst anbot. Mittlerweile gibt es die Live-Übersetzungen österreichweit an vielen Standorten: “Ein Grundelement einer vertrauensvollen Patienten-Arzt-Beziehung ist die Kommunikation. Was Patienten und Behandler oft noch trennt, ist die gemeinsame deutsche Sprache. Das Problem ist noch schärfer bei Menschen mit Migrationshintergrund”, erzählt Bachinger von den Problemen in den Arztpraxen.

Im Medico Chirurgicum in Alt-Erlaa haben rund 20 Prozent der Patient*innen Migrationshintergrund. Viele können nun mit den Ärztinnen in ihrer Muttersprache kommunizieren – und fühlen sich dabei viel sicherer. Sprachbarrieren und Kommunikationsschwierigkeiten gehören in Wien schon lange zur Realität. Sowohl für Ärzt*innen als auch für Patient*innen sind das keine leichten Situationen. Die Folgen von Missverständnissen sind menschliches Leid, aber auch erhöhte Kosten durch Haftungsfolgen, Krankenstände oder Arbeitsunfähigkeit. Riskant für alle Beteiligten, nicht zuletzt für das Gesundheitswesen selbst. Für Friedrich Anton Weiser, Gründer und Mitinhaber des Medico Chirurgicum, sind die Videodolmetscher*innen vor allem durch die Absicherung auf rechtlicher Ebene eine Bereicherung. Bisher waren Übersetzungen durch eilig herbeigeholte Mitarbeiter*innen oder auch durch mitgebrachte Verwandtem nur eine unzureichende Lösung. Entstehen Missverständnisse, kann dies zu haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen führen, die vermeidbar sind. “Oft kommen die Eltern mit sechs- oder achtjährigen Buben, die übersetzen und auf die wir uns verlassen müssen. Dabei weiß ich gar nicht, was die Kinder übersetzt haben. Diese Situation ist weder für mich als Arzt noch für die Patienten sicher”, schildert Weiser aus seinem Alltag.

Insgesamt werden vom Unternehmen SAVD Videodolmetschen, das das Projekt betreibt, 30 verschiedene Sprachen angeboten, darunter die verbreitetsten Sprachen von Migranten wie Bosnisch-Kroatisch/Serbisch, Türkisch oder Arabisch sowie die Top-10-Asylsprachen, darunter Farsi und Urdu.

Wer Kosten trägt, ist noch ungeklärt

Peter Merschitz, Geschäftsführer von SAVD Videodolmetschen, betont, dass eine hochqualifizierte Kommunikation insbesondere im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung ist. Das Unternehmen setzt auf bestens ausgebildetes Personal. Merschitz ist überzeugt, dass die richtige Kommunikation spätere Folgenkosten vermeidbar macht: “Die erste Praxis in Österreich ist uns so wichtig, weil es uns eine Möglichkeit gibt, auch die Ärztekammer zu überzeugen, weiter in die Breite zu gehen.”

Dass verständnisvolle Kommunikation ein Patient*innen-Recht ist, ist in der österreichischen Patientencharta festgehalten. Jede*r Patient*in hat demnach das Recht auf Aufklärung, auf Selbstbestimmung und Information. Auch individuelle Besonderheiten müssen dabei beachtet werden. Die Antwort auf die Frage, ob es sich dabei um eine Bring- oder Holschuld handelt, bleibt in der Charta jedoch aus. Bachinger betont, dass Kommunikation aus rechtlichen, ethisch-humanitären und fachlichen Gründen “kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit ist”. Und dabei gehe es “nicht nur darum, Wort für Wort zu übersetzen, sondern auch das kulturelle Umfeld miteinzubeziehen”.

Die Einschaltung von Videodolmetscher*innen kostet 30 Euro, diese stehen dann 15 Minuten zur Verfügung. Derzeit werden diese Kosten von den Ärzt*innen des Medico Chirurgicum getragen. Damit soll vermieden werden, dass den oft finanzschwachen Patient*innen mit Migrationshintergrund die Kosten aufgebürdet werden. Weiser hofft längerfristig auf Förderungen, damit auch in Zukunft die Patient*innen verschont bleiben. Unverständlich ist für ihn, dass die Krankenkassen sich bis dato nicht in diesem Bereich engagieren. Bachinger sieht das ähnlich: “Jeder in gute Kommunikation investierte Euro rechnet sich in mehreren Bereichen: Nicht nur die Patienten freuen sich, sondern es werden rechtliche Haftungsfolgen vermieden, der Gesundheits-Outcome wird besser und auch Folgekosten wie Krankenstände werden reduziert.”