Interview mit Traumatherapeutin Ulrike Beckrath-Wilking

Dr.in med. Ulrike Beckrath-Wilking ist Nervenärztin, Traumatherapeutin und Mitbegründerin des Trauma-Instituts Süddeutschland. Im Interview sprich­t sie unter anderem darüber, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, um traumatisierten Geflüchteten Sicherheit in Deutschland zu geben und welche Auswirkungen eine fehlende Versorgung haben könnte.

Welchen Einfluss hat die Situation in Deutschland, also das Warten auf eine Entscheidung über den Aufenthaltsstatus oder die Rekonstruktion des Geschehenen im Rahmen des Asylverfahrens, auf das Trauma und die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung?

Es ist ja eigentlich etwas Gesundes, aus einer Situation, die traumatisierend ist, flüchten zu können. Wären die Menschen danach in Sicherheit, wären die Folgefaktoren wahrscheinlich nicht so schlimm oder könnten rascher wieder abklingen. Aber die Menschen erleben auch auf der Flucht schreckliche Dinge. Dann kommen sie in Deutschland an und können sich immer noch nicht sicher fühlen. Du kennst die Sprache nicht, hast andauernd diesen Stress in einem Asylverfahren zu sein und weißt nicht, ob du überhaupt bleiben darfst. Niemand von uns könnte das leicht verkraften. Es ist wie eine dauernde Aufrechterhaltung des Stresses, das Nervensystem bleibt im überaktivierten Alarmzustand. Sehr wichtig zum Wiedergewinnen innerer Sicherheit wäre auch sozialer Anschluss, zum Beispiel indem man arbeiten darf oder auch einen Wohnraum hat, wo man sich sicher fühlt, also nicht in Gemeinschaftsunterkünften leben zu müssen. Das dauernde Warten, ohne zu wissen, wie es weitergeht, ist Stress. Man kann die Zukunft nicht planen, die eigenen Ressourcen nicht einbringen. Damit eine innere Sicherheit überhaupt wieder entstehen kann, braucht es auch die äußere Sicherheit, die so nicht gegeben ist.

Welche Folgen hat eine fehlende psychische Versorgung?

Wenn das Erlebte einfach nur unverarbeitet im Nervensystem stecken bleibt und es keine Beruhigung gibt, keine Möglichkeit zu regulieren, bleiben die Menschen übererregbar und leiden an vielfältigen Traumafolgen. Auch in Deutschland haben wir das nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Es gab sehr viel Leid und Traumatisierung zu einer Zeit, in der es noch kein Wissen über Traumafolgen gab und auch keine Möglichkeit einzugreifen. Daher wurde die Flucht nach vorn ergriffen zum Beispiel in den Wiederaufbau, um alles hinter sich zu lassen und zu vergessen. Das Erlebte ist aber immer noch unverarbeitet da und noch heute werden alte Menschen zum Teil wieder getriggert durch die Fluchtgeschichten der Migranten, die sie in Medien sehen und hören. Wir wissen heute, dass die unverarbeiteten Traumata der Eltern von den Kindern und Enkeln unbewusst aufgenommen werden. Um all das in Zukunft besser zu bewältigen, sind wir alle gefragt und sollten ein Verständnis für traumatisierte Menschen entwickeln. Auch damit traumatisierte Geflüchtete hier in Würde ankommen und leben dürfen.